Hier folgt nun nach dem ersten, zweiten, dritten und vierten der fünfte und letzte Teil der Lebenserinnerungen meines Großvaters. Berichtet wird über den Zeitraum von seiner Gefangennahme, der Zeit in französischer Kriegsgefangenschaft bis zur Rückkehr in die Heimat.
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Von Würzburg aus wurde er nach Worms am Rhein verbracht. Dort, in einem großen Lager mit rund 50.000 deutschen Kriegsgefangenen, war außer Kälte und Hunger, eingepfercht zwischen Drahtzäunen und streng bewacht, nichts zu bekommen. „In Worms gab es einen Anschlag, wobei mitgeteilt wurde, daß sich in Österreich eine Regierung gebildet habe. Eine wohltuende Meldung für uns Österreicher.“ Im Juni 1945 wurden Gefangene von den Amerikanern an die Franzosen ausgeliefert, darunter auch mein Großvater. Es ging von Worms mit dem Zug nach Lyon.

Die Situation im Lager Clermond-Ferand war unmenschlich, auch eine unterschiedliche Behandlung von Österreichern und Voksdeutschen fand nicht statt. „Es sammelten sich hier etwa 3.000 Mann. Wir von „Österreich“ bewohnten eine eigene Baracke. Die WC bestanden aus großen Eisenfässern, die mitten in den Baracken standen, gleich daneben die schlafende „Besatzung“ (Prisonier). Die Behältnisse gingen oft des nachts über…! Es gab einen Waschraum, mit Kaltwasser natürlich, was in den Sommermonaten noch anging. (…) Das Essen konnte man nicht als solches bezeichnen, es waren Hungerrationen, weil sie nur aus Wassersuppe bestanden in der ein Blättchen schwamm. 200g Brot in 24h. Jedes Krümchen wurde sorgsam aufgehoben und in den Mund gesteckt. Man lernte hier das Wort vom täglichen Brot. Unsere körperliche Verfassung reichte nicht für eine waghalsige Flucht, die ja durch die strenge Bewachung und den Stacheldraht undurchführbar schien. Dazu kamen nun die Läuse, die uns fast auffraßen. DDT lag in der Baracke zum „Einstreuen“, aber das Mittel war total durchfeuchtet und nicht verwendbar.“
Der Lagerarzt verkündete, dass er keinerlei Mittel zur Behandlung im Falle einer Epidemie hätte und empfahl, sich für Arbeitsstellen außerhalb des Lagers zu melden. Nach mehrfachen Versuchen klappte es schließlich auch für meinen Großvater, er wurde mit dem LKW in den Ort St. Georges, 20km von Clermont entfernt, gebracht. Nachdem die Zuteilung zur Landwirtschaft der Familie Francon erfolgen sollte log er was das Zeug hielt, u.a. was seine Melkkünste betraf. Eine Einstandsjause bei der Begrüßung durch die Bauern gab es nicht.

Am ersten Arbeitstag stellte mein Großvater erfreut fest, dass das Melken der Kühe vom Sohn des Hauses erledigt wurde. Er sprach etwas Deutsch, da er neun Monate in der Schweiz interniert war. Meinem Großvater wurde jedoch die Obhut über das Pferd der Familie Francon namens Mignon übertragen. Er striegelte, bürstete und verpflegte das Pferd so gut er konnte. Es fiel zum Glück niemandem auf, dass er zuvor noch nie Kontakt zu Pferden hatte. Neben der Stallarbeit und einem Weinbau gab es auch Arbeit am Weizenfeld. Das Garbenbinden der Ernte hatte mein Großvater, auf dem Land in Afing bei St. Pölten aufgewachsen, schon als Kind gelernt. Das „Bandlmachen“ war die Arbeit der 12 bis 13jährigen Kinder gewesen.
„Im Spätsommer 1945 bei Francon gab es Arbeiten, die ins Tischlerfach schlugen. Um die Lage noch mehr zu komplizieren, hakte ich auch bei dieser Arbeit ein. Eine Kellertür, einfacher Art, ein Vorspann für unsere zwei Kühe, aus Holz gefertigt, begeisterten die Familie Francon. Viel Zweifel muß den Franzosen schon aufgekommen sein bei meinen Tätigkeiten, weshalb man nun an mich, via Sohn, die Frage nach meinem wirklichen Beruf stellt. Ich bekannte Farbe.“
Dennoch schienen die Bauern mit ihm zufrieden zu sein. Als einmal eine Bemerkung über eine mögliche Flucht fiel war ab sofort alles immer verschlossen und die Fahrräder abgesperrt. Den Gedanken an eine Flucht musste man fallen lassen.
Die Sehnsucht, die Heimat wieder zu sehen, wuchs ständig. An das harte Los hatte man sich auch gewöhnt. „Im Lager Clermond las ich ein Buch, ein Satz blieb mir bis ans Ende der Gefangenschaft und noch lange danach in mir haften: „Oh Mensch, deiner Freiheit beraubt, sinkst du in den Stand des Tieres.“

Die Tage in St. Georges waren aber gezählt, am 30. Dezember 1945 ging es wieder zurück in das Lager Clermont, wo wieder ein harter Winter bevor stand. „Es kam wieder eine unbarmherzig harte Zeit des Winters im Lager. Eine Tortur war das Waschen mit kaltem Wasser im Waschraum. Das Essen wie gehabt. Mein Körper wies Furunkel auf wie nach Noten. Der Vitaminmangel zwang uns, am Abfallhaufen nach Krautstengel zu suchen, worin man Vitamin vermutete. Die Furunkel konnten nicht behandelt werden, das Blut sickerte durch die Kleidung, die Gefahr der Infektion war groß. Die Läuse wurden immer mehr. Man hoffte, daß einmal Vertreter des Int. Roten Kreuzes erscheinen, um unsere Lage in Augenschein zu nehmen. Die ganzen Konventionen nützen nichts, wenn sie nicht angewendet werden. (…) Täglich wurden etwa 10 – 14 Kameraden aus dem Lager transportiert, um im Barackenlager B zu sterben. In Clermond hatte ich oft den Eindruck, daß es ein Morden mit anderen Mitteln sei. Bei etwas humaner Behandlung hätten nicht mehr soviele Opfer gebracht werden müssen. Haß und Revanche dürften hier auch eine Rolle gespielt haben.“
Im Mai 1946 machten sich ersten Hoffnungen auf eine Rückkehr breit, als Bewohner der russischen Besatzungszone wurden sie jedoch zuletzt frei gelassen. Über Genf-Innsbruck, wo eine „totale Entlausung“ stattfand, kehrte mein Großvater am 22. Mai 1946 nach St. Pölten heim.

Und so kam es auch. Nach seiner Meldung bei der Dienstbehörde in Wien wurde er, nach Befragung zu seiner Nazi-Vergangenheit und vier Wochen Erholungsurlaub, mit 1. August 1946 dem Dienst in der Zollwache-Abteilung Fratres im oberen Waldviertel zugewiesen. Mein Großvater begann also wieder seinen Dienst bei der Zollwache und wurde dort vielfach versetzt. Im Oktober 1946 nach Drasenhofen, im Dezember 1946 nach Reintal bei Bernhardstal, im Februar 1947 zurück nach Drasenhofen.


Seine Laufbahn führte ihn über viele weitere Dienstorte wie Ottenthal, Litschau, Güssing und Deutschkreuz. In Litschau lernte er auch seine zukünftige Ehefrau kennen, Helene und er, Johann, heirateten am 16. Juni 1951 in Pöggstall im Waldviertel. Drei Kinder entsprungen der Ehe, von denen eines, Walter, leider schon nach vier Monaten verstarb. Im Juni 1975 ging mein Großvater schließlich als Oberstleutnant der Zollwache in Pension und führte sein Leben gemeinsam mit meiner Großmutter in Mattersburg weiter. Er verstarb 2007 im 95. Lebensjahr.

Und hier noch eine Karte, auf der mein Großvater alle seine „unfreiwilligen Reisen“ und Ziele eingetragen hat:


Das waren die Berichte zu den Lebenserinnerungen meines Großvaters. Ich hoffe, es war auch für den geneigten Leser so interessant wie für mich.
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