Lebenserinnerungen, vierter Teil

Nach den Berichten des ersten, zweiten und dritten Teils hier die Ereignisse, die zur Aufnahme meines Großvaters in die Wehrmacht führten und seine Erlebnisse dort.

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Kaum zurück in Berislaw kam es im Juni 1942 zu einem Zwischenfall, weil ein preussischer Beamter „zur besonderen Verwendung (ZBV)“ über die Ostmärker schimpfte und mein Großvater und die anderen Österreicher sich über ihn schriftlich beschwerten. Was zu Entsetzen beim Vorgesetzten führte und die Vorgehensweise als „Wehrkraftzersetzung“ eingeschätzt wurde. Die Beschwerde wurde daher umgehend zurück gezogen.

Ob es mit dem Vorhergehenden zusammenhängt bleibt unklar, aber schon am nächsten Tag erschien ein hoher Beamter vom Zoll und mein Großvater erhielt den Befehl, sich beim Heimat-Wehrmeldeamt zu melden. Nachdem das erledigt war fuhr er nach Kattowitz und versah noch kurze Zeit Grenzdienst, bald stellte er sich jedoch dem Einrücken beim Heer.

Ohne Ambitionen zum Heer

In Kattowitz – es war ein Ersatzhaufen wie man es gerne nannte – gab es sprachliches Durcheinander. Die Deutschen 3. U. 4. Grades – genannt die Wasserpolaken – waren in der Überzahl. Der Kp.Kdt. ermahnte einmal, Kameraden, ihr seid ja alle Deutsche, also wendet auch die Sprache an!“

Nach ein paar Tagen Zusammenstellung ging es über Darmstadt nach Ulm an der Donau. Dort harte Ausbildung im Grabenstürmen, Bunker aufsprengen usw. Mein Großvater hörte sich um und erfuhr, dass der Einsatz vermutlich in Nord-West-Russland stattfinden sollte. Er wollte alles, nur nicht nach Osten, drei Winter genügten ihm vollauf. Bei Gelegenheit wollte er diesem Schicksal entgegen wirken. Nach harter, wochenlanger Ausbildung dann die Nachricht, dass im Afrika-Korps Soldaten gebraucht wurden, um die gelichteten Reihen wieder aufzufüllen.

„Klar, dem Tod konnte man auch in Afrika in die Augen schauen, aber die Kälte, der ich immer abhold war, tritt do. nicht so stark in Erscheinung.“

Nach ein paar Tagen ging es weiter nach Landau, dort auch wieder Ausbildung, diesmal an die Verhältnisse in Afrika angepasst. Die nächste Station war Bitsch, wo 30kg Ausrüstung und Bekleidung ausgefasst wurde.

„Das Wunder-MG, Muster 42, wurde uns ausgefolgt. Ich war der „Glückliche“ und bekam auch eines in die Hand gedrückt. Das neue Ding wurde wegen der Einfachheit sehr bewundert und es dauerte höchstens eine Stunde und wir waren instruiert. Dann ging es endgültig einem neuen Ziel entgegen. Afrika.“

Auf dem Weg nach Afrika

In Neapel angekommen wurde schon am nächsten Tag um 3 Uhr morgens Alarm gegeben. Um 8 Uhr lag man schon am Flughafen und wurde nach dem Ausfüllen von Formularen für die Hinterbliebenen um 11 Uhr Vormittags in einer „alten braven Tante JU 52“ verladen. Alle wurden blass, keiner von ihnen hatte je einen Flug mitgemacht.

Der Flug nach Afrika

Nach viel Zittern in Biserta in Tunesien angekommen gruben sie sich samt Zelten ein, die Verpflegung war wegen der Seeblockade mangelhaft. Aufklärungsflugzeuge und auch nahe Bombenangriffe der Allierten fanden statt, richteten bei ihnen aber keinen Schaden an. Am 1. Dezember 1942 galt es einen von den Engländern gehaltenen, langgestreckten Höhenzug nahe dem Ort Dschdeida anzugreifen. Zur Unterstützung rollten Panzer an. Mein Großvater hatte eine Gruppe zu führen.

„Tage zuvor gab es in diesem Abschnitt viele Opfer auf deutscher Seite. Nun, so schien es, sollten wir die nächsten Schlachtopfer sein.“ (…) „. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Wußte doch jeder, daß es nun los geht und die Stunde der Wahrheit schlagen wird. Tage zuvor wurde jeder Versuch, die Stellung zu verlassen, von den Tommys mit heftigem Feuer verhindert.“

Der Angriff

Kurz darauf erhoben sich die Engländer zögerlich und hoben die Hände. Der Feind hatte aufgegeben! 41 Engländer wurden gefangen genommen. „Mir kamen menschliche Gefühle als sie Fotos aus den Taschen zogen und ihre Familien zeigten. Es waren große, etwas 30 jährige Männer aus London, wie sie erklärten. Sie wurden nach rückwärts abgeführt. Ich glaube, sie hatten Angst umgelegt zu werden.“

Nach etwa 2km kamen sie wieder zu einem Höhenzug, der auch von den Engländern gehalten wurde. Das Abwehrfeuer war heftig, sodaß die Truppe auf freiem Feld liegen blieb. Spaten zum Eingraben hatten sie nicht.

Verwundung

Mein Großvater wurde ein Stück zurück gebracht, blieb aber bis 23 Uhr unversorgt liegen. Dann wurde er auf einen LKW verladen und in ein Lazarett in Tunis gebracht. Im Vergleich mit den anderen Verwundeten stellte mein Großvater fest, dass seine Verletzung leichter Natur war, ein so genannter „Heimatschuß“. Bald ging es per Flugzeug weiter nach Trapani in Sizilien, und weiter nach Catania. Später mit dem Lazarettzug über Messina und Rom nach Amberg in Bayern. Eine dreitägige Zugreise, Ankunft am 23.12.1942.

Im Lazarett in Amberg

Die Betreuung und Versorgung dort waren gut, ein Kino war die einzige Ablenkung. Ostern 1943 wurde mein Großvater in das Heimatlazarett St. Pölten verlegt. Nach sechs Monaten Genesung kam er, versehen mit Gehstock und orthopädischen Schuhen, zur Genesungskompanie nach Landau/Pfalz und als nicht kriegsverwendungsfähig bald nach Rüsselsheim zur Bewachung der ausländischen Arbeiter im Opelwerk. Im Herbst 1944 wurde er wieder nach Landau zurück beordert und bedingt kriegsverwendungsfähig geschrieben. Ein dort gestelltes Ansuchen zur erneuten Zuteilung zum Zolldienst wurde von der Heeres-Entlassungsstelle in Darmstadt bearbeitet:

Jeder Mann wurde gebraucht
Wachdienst im Opelwerk Rüsselsheim

Zurück in Landau wurde mein Großvater eine Zeit geduldet, jedoch mit 1.1.1945 erfolgte die Abstellung zur Panzer-Grenadierschule in Potsdam, wo am 2.1.1945 bereits die Ausbildung begann. Aufgrund der Bedrohung durch Luftangriffe fand diese abseits der Kaserne im Freien und in Bunkern statt.

 „Ich mit meinen leichten orthopädischen Schuhen mußte bei Schnee und minus 6 Grad die Exerziererei mitmachen. Ich war, wie schon lange, angefressen. Höhere Gewalt ließ mir am 20.1.45, während der Ausbildung, 39 Grad Fieber zukommen. Ich lag zwei Tage in einem Zimmer der Kaserne, ohne ärztl. Versorgung. Der Hauptfeldwebel nannte mich einen Simulanten. Viel hat nicht gefehlt und ich hätte ihm etwas geantwortet. Aber das damalige Kriegsrecht war hart und unerbittlich.“

Mein Großvater hatte wieder „Glück“, es wurde eine Rippenfellentzündung diagnostiziert und er am 22.1.1945 ins Lazarett eingewiesen. Da die Rote Armee bereits nach Berlin drängte wurde das Lazarett geräumt und er wurde per Bahn nach St. Pölten in das Heimatlazarett geschickt. Nach zwei Wochen Behandlung wurde er allerdings vorzeitig gesund geschrieben und wieder zu seiner Kompanie, die in Schwetzingen bei Heidelberg lag, geschickt.

„Wieder bei einer Kompanie, wurde ich zu einem Zug zugeteilt, der von zwei Hauptleuten geführt wurde. Es waren uns 18jährige, ältere Kameraden, ein Misch-Masch. Die Hauptleute hatten keinen Auftrag zu kämpfen, wir wären eine Nachwuchseinheit, so hörte man. Das ganze Getriebe war so locker, die Auflösung zeichnete sich förmlich ab.“

Als die amerikanischen Truppen nahe Heidelberg kamen trat auch die Truppe meines Großvaters den Rückzug Richtung Bayern an, die Amerikaner immer hinter ihnen. „Es war turbulent, die Auflösung der Wehrmacht des Dritten Reichs war eindeutig sichtbar.“

Das letzte Aufgebot

Die beiden Hauptleute waren verschwunden, junge Leutnants führten nun den kleinen Haufen. Am 15. April 1945 lag die Truppe hoffnungslos und ohne Verpflegung in einem Wald als sie von amerikanischen LKW überrollt wurde. Lautlos liegend blieben sie verborgen. „Am 15. April, im Wald liegend, erklären unsere Leutnants, da wir nun überrollt sind, kann jeder sich „durchschlagen“, wohin sagten sie nicht.“

Nach einigen Tagen Quartier unter Tannen war der „kaum mehr vorhandene Widerstand“ der Truppe gebrochen und sie gingen zum nächstgelegenen Ort namens Ober-Dachstetten. Dort bekamen sie von einer Bäuerin Milch zum Stillen des ärgsten Hungers. Bald darauf kam ein Jeep der Amerikaner und sie wurden im Hof eines Landwirts perlustriert, alle Ausrüstung wurde ihnen abgenommen – mit Ausnahme der Uhren!

Kriegs-Klischees bestätigt

Letztlich wurden alle auf überfüllte LKW verladen und stehend nach Würzburg befördert. Nun beginnt für meinen Großvater die Zeit der Kriegsgefangenschaft, worüber im fünften und letzten Teil berichtet wird.

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