Catalog Of Enemy Ordnance Materiel

Wer sich schon einmal gefragt hat, wie sich die alliierten Truppen im Zweiten Weltkrieg in den befreiten Gebieten, die ihnen ja überwiegend kulturell und sprachlich fremd waren, orientieren konnten – hier ein Detail dazu, das den Bereich der militärischen Ausrüstung betrifft.

Es gab jedenfalls auch reichlich Handbücher für die in Europa eingesetzten Befehlshaber und Truppen. Zumindes für die britischen amerikanischen Truppen gibt es Beispiele wie das „Austria Basic Handbook“ oder das „Field Handbook on Military Government„. Eine Link zu einer Zusammenstellung solcher Titel findet sich in den Quellenangaben am Ende.

Das Dokument, dass ich hier vorstellen möchte, betrifft die militärische Ausrüstung von Deutschland und Japan. Herausgegeben von der US Army soll es der Identifikation und den groben Kenndaten diverser Waffensysteme, Munition und anderer Kampfmittel dienen. Aber auch die Bedeutung und Verwendung der japanischen Schriftzeichen wird ausführlich dargestellt. Das Dokument ist aus der Geheimhaltung ausgeschieden und in seinem Umfang (307 Seiten) und Detaillierung sehr interessant. Es beginnt mit Material aus Deutschland:

Bei allen Ausrüstungsgegenständen gibt es ein Bild, eine Beschreibung und oft auch eine schematischen Zeichnung sowie eine Liste mit Kenndaten. Die lange Liste umfasst auch eine bemerkenswerte „Waffe“:

Mit dieser einfachen Konstruktion, vergeichbar mit einem Granatwerfer, konnten Flugblätter und Propagandamaterial hinter die feindlichen Linien geschossen werden.

Fast noch interessanter ist die Sektion zum japanischen Material. Auch hier geht man detailliert auf die Materialien und Geräte der langen Liste ein. Insgesamt bemerkt man in Vergleich zu Deutschland aber einen technischen Abstand und auch andere Konzepte. So sind z.B. Handgranaten oder Minen aus Terrakotta hergestellt und es gibt auch Waffensysteme, die das Überleben des Bedieners erwartbar zumindest gefährden:

Und es fällt auf, das u.a. Munition oder Zünder mit japanischen Schriftzeichen gekennzeichnet sind. Für die Alliierten, die diese Dinge bergen, entschärfen und entsorgen mussten eine Herausforderung. Daher gibt es in dem Dokument einen umfangreichen Abschnitt, der sich der Sprache und v.a. der Schriftzeichen widmet.

Der Schwerpunkt der Beschreibungen widmet sich dem Schema der Kombination der Zeichen und damit der Identifikation des Materials:

Das nur ein kurzer Einblick in dieses sehr spezielle Dokuments für diesen spezifischen Einsatzzweck. Man kann davon ausgehen, dass es sehr viel diesbezügliche Dokumentation gegeben haben muss um den Befehlshabers einen Überblick über die militärische, politische, verwaltungstechnische usw. Situation in den befreiten Gebieten ermöglicht zu haben.

Wer gerne selbst hineinschmökern möchte – ein Downloadlink findet sich in den Quellangaben.

Quellen:
United States Office of the Historian:
Historical Documents refering to Austria – Secretary Of State USA
PaperlessArchives.com
Catalog Of Enemy Ordnance Materiel (pdf, 28MB)

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Zeitung in der Zeitkapsel

Ich habe mit dem Garten meiner Großeltern auch ein altes Stockerl übernommen, das ich vor kurzem einer Sanierung unterziehen wollte. Ich mochte den Stil und Charme und daher ein paar Ertüchtigungen vornehmen. Beim Abnehmen der aufgeschraubten Eternitplatte kam Überraschendes zum Vorschein:

Unter der Platte lagen, wohl zum Ausgleich von Unebenheiten und als Zwischenlage zu den ursprüglich außenliegenden Brettern, einige alte Zeitungen. Ich habe mich gleich gefreut, so einen über viele Jahre konservierten Fund zu machen. Bei näherer Betrachtung war die Freude aber noch größer.

Es handelte sich um einige Blätter von drei verschiedenen Zeitungen, und auch das Erscheinungsdatum ist sehr interessant:

„Das kleine Blatt“ vom 29. September 1938 (Wikipedia)
„Die kleine Volks-Zeitung“ vom 9. Oktober 1938 (Wikipedia)
„Neues Wiener Tagblatt“ vom 9. Oktober 1938 (Wikipedia)

Vielfaches ist interssant wie ich finde. Die Zeitungen sind nur wenige Monate nach dem Einmarsch von und der Annektierung durch Hitler-Deutschland im März 1938 in Österreich erschienen, also inhaltlich interessant – dazu später mehr. Wer auch immer der Hocker besaß hatte zumindest drei verschiedene Zeitungen gekauft und gelesen – unerwartet. Und nicht zuletzt wurde die Zeitungen offenbar bei einer vorhergehenden Sanierung des Stockerls eingelegt, und das war schon vor 86 Jahren! Das originale Stockerl ist also noch deutlich älter – hätte ich nicht erwartet.

Zum Inhaltlichen

„Das kleine Blatt“, 1927 als leichter zugängliches Medium zur Verbreitung sozialistischer Inhalte gegründet, wurde vom NS-Regime rasch „umgebaut“. Hier ein paar anschauliche Beispiele, der ganze verfügbare Text strotzt vor NS-Themen:

Die „Kleine Volks-Zeitung“, 1918 aus der ursprünglich „Oesterreischichen Vokszeitung“ hervorgegangen, liegt mir hauptsächlich in einigen Blättern Kleinanzeigen vor. Interessant ist auch hier die merkbare Durchdringung mit NS-Diktion:

Das „Neue Wiener Tagblatt“ erscheint seit 1867 und wurde nach 1938 aufgrund ihrer großen Verbreitung rasch in die Propaganda eingegliedert und auf NS-Kurs gebracht. Mir liegt sie hier als Sontagsausgabe und haupsächlich in Erzählungstexten sowie Börsenkursen vor. Die Erzählungen sind harmlos bis kitschig, die Börsenkurse zeigen noch Handelsdaten mit den Regimegegnern. Und: Es gab 1938 Aktienkurse für Schmalz aus Chicago – faszinierend.

Ich habe die Zeitungen geborgen und das Stockerl behutsam saniert. Verwendet wird es immer noch. Um so lieber, als ich nun seine lange Geschichte besser kenne.

Fotos: Autor

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Spuren des Kalten Krieges

Nicht nur der Zweite Weltkrieg hat seine Spuren hinterlassen, auch der Kalte Krieg, der in ideologischem Gegensatz und hegemonialer Konkurenz der beiden großen Machtblöcke seinen Ursprung findet, hat ebenso seine Zeugnisse hinterlassen.

Aufgrund der exponierten Lage des Landes, angrenzend an mehrere Staaten des Warschauer Pakts, und auch geografisch für Angriffe von Ost nach West bzw. von Ost nach Süd als Durchmarschgebiet geeignet, musste man sich schon früh Gedanken über die Möglichkeiten zu Abwehr und Verteidung machen. Erst in den 1970er Jahren wurde unter General Emil Spannocchi das Konzept der Raumverteidigung entwickelt und ab 1978 auch in Kraft gesetzt. Ziel war es, die übermächtigen Angriffskräfte des Warschauer Pakts nicht an der Landesgrenze aufhalten zu wollen, sondern entlang der möglichen Bewegungslinien in so genannten Schlüssel- und Raumsicherungszonen an geeigneten Positionen mehrfach anzugreifen, also zu verzögern und abzunutzen. Erklärtes Ziel war es, dem Angreifer den Preis so hoch wie möglich zu machen, sowohl hinsichtlich materiellen als auch Zeitverlusten, und ihn im Idealfall davon abzuhalten überhaupt durch Österreich zu gehen. Anmerken muss man auch, dass diese Planungen sehr umfänglich, detailliert und ernsthaft waren, auch die Ausstattung und Mannstärke wären hier durchaus wirksam gewesen, dass war damals auch den Truppen des Warschauer Pakts bekannt.

Man sieht in obiger Grafik Hauptstoßrichtungen aus Richtung Ost, die Hauptachsen Ost-West und Ost-Süd sind klar ersichtlich. Daher finden sich auch für beide Achsen Beispiele für vorbereitete Verteidigungspositionen. In beiden Fällen handelt es sich um Sperren, die nicht nur mechanisch wirken sollten, solche wären schnell überwunden gewesen. Militärische Sperren sind immer durch Feuer überwacht, d.h. sobald der Angreifer zum Stehen kommt wird er angegriffen.

Sperre an der L4085 zwischen Bad Sauerbrunn und Neudörfl, Achse Ost-West

Unscheinbar im Wald versteckt befinden sich noch Reste einer Verteidigungsstellung, die der Überwachung eine Sperranlage, einer sog. Stecksperre, diente. Dabei wurden Stahlträger in mehreren Reihen senkrecht in vorbereitete Öffnungen in der Fahrbahn gesteckt. Diese sind nicht mehr vorhanden, aber im zweiten Beispiel kann man sie noch sehen.

Man hat hier eine kleine Bunkeranlage gebaut, vermutlich bestückt mit einer PaK oder rPaK Waffe zur Panzerabwehr. Es gibt auch zwei Einstiege in einen vermutlich unter dem Wall liegenden Raum, ich bin aber mangels Licht nicht abgestiegen. Werde das gelegentlich nachholen, die Neugierde, Sie wissen schon.

Zwei Dinge fallen noch auf. Es gibt eine (verschüttete?) Öffnung nach oben, und auch ist keine Öffnung für die Bewaffnung zu erkennen. Beides lässt sich vielleicht bei einer Begehung des Inneren klären. Der Unterschied in der Oberfläche des Material lässt zumindest vermuten, dass eine Waffenöffnung zugemauert wurde.

Sperre an der B54 bei Seebenstein, Achse Ost-Süd

Die zweite Anlage, eine Stecksperre die noch erkennbar ist, hat mittlerweile schon Seltenheitswert. Viele dieser vorbereiteten Öffnungen wurden über die Jahrzehnte bei Sanierungen der Straßen verschlossen oder entfernt. Bei dieser Sperre gibt es offenbar keine befestigte Verteidigungsstellung, hier waren vermutlich bewegliche (Panzerabwehr)Kräfte eingesetzt, die sich nach einem Angriff rasch abgesetzt hätten.

Derartige Sperren waren früher vielfach auf bedeutenden Bewegungslinien an natürlichen Engstellen, vor Tunnels, o.ä. vorbereitet. Oft lagen die benötigten Stahlträger in Holzkisten gleich daneben, damit die vor Ort eingesetzten Kräft rasch agieren konnten.

Wo keine Stecksperren vorbereitet waren lagen auch oft sog. Panzerigel direkt neben der Fahrbahn um schnell eine mobile Sperre aufbauen zu können und mit beweglich eingesetzten Kräften zu überwachen. Diese Panzerigel sind aber auch schon überall verschwunden, die umfangreichen Bestände sind nun u.a. entlang des Truppenübungsplatzes Großmittel und des Flugfeldes in Wiener Neustadt zu finden.

Quellen:
Alle Fotos vom Autor
Skizze Angriffsplanungen aus „Geländebefahrbarkeit der Schlüsselzone 35“, H. Häusler, 2013

Brutalismus im Burgenland

Schon vor längerer Zeit ist mir eine Aufstellung von Gebäuden im Stil des Brutalismus in Österreich in die Hände gefallen – mit einer erstaunlichen Häufung davon im Burgenland. Eine der Folgen einer engagierten und progressiven Kultur- und Bildungspolitik der Nachkriegsjahre. Das rückständige Burgenland sollte modernisiert, Bildung, Kultur, Architektur, Infrastruktur gefördert und diese – sozialdemokatischen – Errungenschaften der breiten Bevölkerung zugänglich und auch bewußt gemacht werden.

Ich wurde neugierig und wollte einige dieser Bauten besichtigen, hier eine erste Dokumentation dieser Tour durch das Burgenland und seiner nachkriegsmodernen Architektur.

Kulturzentrum Mattersburg (Herwig Udo Graf, 1973-1976)

Krankenhaus Oberwart (Matthias Szauer, Gottfried Flickl, 1971-1988)

Schulgebäude Großwarasdorf (Matthias Szauer, 1968-1972)

Katholische Pfarrkirche Oberwart (Günther Domenig, Eilfried Huth, 1967-1969)

Internat Oberwart (Rudolf Schober, Erwin Christoph, 1977)

Firmengebäude Großwarasdorf (unbekannt)

In den letzten Jahren gab es viele Diskussionen rund um den Erhalt von Bauten diesen Stils aus der Zeit zwischen den 1950er und 1980er Jahren. Viele Gemeinden und Eigentümer sind unzufrieden mit der Zuerkennung des Denkmalschutzes, befürchten hohe Erhaltungs- und Sanierungskosten oder erkennen keine Wert darin. Dennoch muss man bedenken, dass es nicht mehr viele Objekte gibt, vieles wurde ohne Beimessung einer Bedeutung abgerissen. Für mich persönlich aber gelingt es vielen dieser Gebäude, trotzt der Wuchtigkeit und nüchternen Materialität, im Esemble mit den Außenbereichen eine überraschend angenehme und einladende Gesamtwirkung zu entfalten. Diesen Gegensatz zu überbrücken und dennoch äußerst konsequent modern und anders zu bauen macht jedenfalls gute und wertbeständige Architektur aus.

Es gibt jedenfalls noch viele weitere Bauwerke im Burgenland zu entdecken, eine Fortsetzung ist geplant. Eile ist Interessierten aber geboten, das weitere Schicksal etlicher Bauten ist ungewiss. Weitere Infos finden sich nachstehend.

Links / Quellen:
Liste brutalistischer Bauwerke in Österreich
SOS Brutalismus

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Lebenserinnerungen fünfter Teil

Hier folgt nun nach dem ersten, zweiten, dritten und vierten der fünfte und letzte Teil der Lebenserinnerungen meines Großvaters. Berichtet wird über den Zeitraum von seiner Gefangennahme, der Zeit in französischer Kriegsgefangenschaft bis zur Rückkehr in die Heimat.

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Von Würzburg aus wurde er nach Worms am Rhein verbracht. Dort, in einem großen Lager mit rund 50.000 deutschen Kriegsgefangenen, war außer Kälte und Hunger, eingepfercht zwischen Drahtzäunen und streng bewacht, nichts zu bekommen. „In Worms gab es einen Anschlag, wobei mitgeteilt wurde, daß sich in Österreich eine Regierung gebildet habe. Eine wohltuende Meldung für uns Österreicher.“ Im Juni 1945 wurden Gefangene von den Amerikanern an die Franzosen ausgeliefert, darunter auch mein Großvater. Es ging von Worms mit dem Zug nach Lyon.

Fahrt nach Lyon

Die Situation im Lager Clermond-Ferand war unmenschlich, auch eine unterschiedliche Behandlung von Österreichern und Voksdeutschen fand nicht statt. „Es sammelten sich hier etwa 3.000 Mann. Wir von „Österreich“ bewohnten eine eigene Baracke. Die WC bestanden aus großen Eisenfässern, die mitten in den Baracken standen, gleich daneben die schlafende „Besatzung“ (Prisonier). Die Behältnisse gingen oft des nachts über…! Es gab einen Waschraum, mit Kaltwasser natürlich, was in den Sommermonaten noch anging. (…) Das Essen konnte man nicht als solches bezeichnen, es waren Hungerrationen, weil sie nur aus Wassersuppe bestanden in der ein Blättchen schwamm. 200g Brot in 24h. Jedes Krümchen wurde sorgsam aufgehoben und in den Mund gesteckt. Man lernte hier das Wort vom täglichen Brot. Unsere körperliche Verfassung reichte nicht für eine waghalsige Flucht, die ja durch die strenge Bewachung und den Stacheldraht undurchführbar schien. Dazu kamen nun die Läuse, die uns fast auffraßen. DDT lag in der Baracke zum „Einstreuen“, aber das Mittel war total durchfeuchtet und nicht verwendbar.“

Der Lagerarzt verkündete, dass er keinerlei Mittel zur Behandlung im Falle einer Epidemie hätte und empfahl, sich für Arbeitsstellen außerhalb des Lagers zu melden. Nach mehrfachen Versuchen klappte es schließlich auch für meinen Großvater, er wurde mit dem LKW in den Ort St. Georges, 20km von Clermont entfernt, gebracht. Nachdem die Zuteilung zur Landwirtschaft der Familie Francon erfolgen sollte log er was das Zeug hielt, u.a. was seine Melkkünste betraf. Eine Einstandsjause bei der Begrüßung durch die Bauern gab es nicht.

Ankunft bei der Familie Francon

Am ersten Arbeitstag stellte mein Großvater erfreut fest, dass das Melken der Kühe vom Sohn des Hauses erledigt wurde. Er sprach etwas Deutsch, da er neun Monate in der Schweiz interniert war. Meinem Großvater wurde jedoch die Obhut über das Pferd der Familie Francon namens Mignon übertragen. Er striegelte, bürstete und verpflegte das Pferd so gut er konnte. Es fiel zum Glück niemandem auf, dass er zuvor noch nie Kontakt zu Pferden hatte. Neben der Stallarbeit und einem Weinbau gab es auch Arbeit am Weizenfeld. Das Garbenbinden der Ernte hatte mein Großvater, auf dem Land in Afing bei St. Pölten aufgewachsen, schon als Kind gelernt. Das „Bandlmachen“ war die Arbeit der 12 bis 13jährigen Kinder gewesen.

Im Spätsommer 1945 bei Francon gab es Arbeiten, die ins Tischlerfach schlugen. Um die Lage noch mehr zu komplizieren, hakte ich auch bei dieser Arbeit ein. Eine Kellertür, einfacher Art, ein Vorspann für unsere zwei Kühe, aus Holz gefertigt, begeisterten die Familie Francon. Viel Zweifel muß den Franzosen schon aufgekommen sein bei meinen Tätigkeiten, weshalb man nun an mich, via Sohn, die Frage nach meinem wirklichen Beruf stellt. Ich bekannte Farbe.“

Dennoch schienen die Bauern mit ihm zufrieden zu sein. Als einmal eine Bemerkung über eine mögliche Flucht fiel war ab sofort alles immer verschlossen und die Fahrräder abgesperrt. Den Gedanken an eine Flucht musste man fallen lassen.

Die Sehnsucht, die Heimat wieder zu sehen, wuchs ständig. An das harte Los hatte man sich auch gewöhnt. „Im Lager Clermond las ich ein Buch, ein Satz blieb mir bis ans Ende der Gefangenschaft und noch lange danach in mir haften: „Oh Mensch, deiner Freiheit beraubt, sinkst du in den Stand des Tieres.“

Weihnachten in der Gefangenschaft

Die Tage in St. Georges waren aber gezählt, am 30. Dezember 1945 ging es wieder zurück in das Lager Clermont, wo wieder ein harter Winter bevor stand. „Es kam wieder eine unbarmherzig harte Zeit des Winters im Lager. Eine Tortur war das Waschen mit kaltem Wasser im Waschraum. Das Essen wie gehabt. Mein Körper wies Furunkel auf wie nach Noten. Der Vitaminmangel zwang uns, am Abfallhaufen nach Krautstengel zu suchen, worin man Vitamin vermutete. Die Furunkel konnten nicht behandelt werden, das Blut sickerte durch die Kleidung, die Gefahr der Infektion war groß. Die Läuse wurden immer mehr. Man hoffte, daß einmal Vertreter des Int. Roten Kreuzes erscheinen, um unsere Lage in Augenschein zu nehmen. Die ganzen Konventionen nützen nichts, wenn sie nicht angewendet werden. (…) Täglich wurden etwa 10 – 14 Kameraden aus dem Lager transportiert, um im Barackenlager B zu sterben. In Clermond hatte ich oft den Eindruck, daß es ein Morden mit anderen Mitteln sei. Bei etwas humaner Behandlung hätten nicht mehr soviele Opfer gebracht werden müssen.  Haß und Revanche dürften hier auch eine Rolle gespielt haben.“

Im Mai 1946 machten sich ersten Hoffnungen auf eine Rückkehr breit, als Bewohner der russischen Besatzungszone wurden sie jedoch zuletzt frei gelassen. Über Genf-Innsbruck, wo eine „totale Entlausung“ stattfand, kehrte mein Großvater am 22. Mai 1946 nach St. Pölten heim.

Heimkehr

Und so kam es auch. Nach seiner Meldung bei der Dienstbehörde in Wien wurde er, nach Befragung zu seiner Nazi-Vergangenheit und vier Wochen Erholungsurlaub, mit 1. August 1946 dem Dienst in der Zollwache-Abteilung Fratres im oberen Waldviertel zugewiesen. Mein Großvater begann also wieder seinen Dienst bei der Zollwache und wurde dort vielfach versetzt. Im Oktober 1946 nach Drasenhofen, im Dezember 1946 nach Reintal bei Bernhardstal, im Februar 1947 zurück nach Drasenhofen.

Zollwache Ottenthal 1947-1950
Zollwache Neckenmarkt 1955

Seine Laufbahn führte ihn über viele weitere Dienstorte wie Ottenthal, Litschau, Güssing und Deutschkreuz. In Litschau lernte er auch seine zukünftige Ehefrau kennen, Helene und er, Johann, heirateten am 16. Juni 1951 in Pöggstall im Waldviertel. Drei Kinder entsprungen der Ehe, von denen eines, Walter, leider schon nach vier Monaten verstarb. Im Juni 1975 ging mein Großvater schließlich als Oberstleutnant der Zollwache in Pension und führte sein Leben gemeinsam mit meiner Großmutter in Mattersburg weiter. Er verstarb 2007 im 95. Lebensjahr.

Mein Großvater

Und hier noch eine Karte, auf der mein Großvater alle seine „unfreiwilligen Reisen“ und Ziele eingetragen hat:

Die „unfreiwilligen Reisen“

Das waren die Berichte zu den Lebenserinnerungen meines Großvaters. Ich hoffe, es war auch für den geneigten Leser so interessant wie für mich.

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Lebenserinnerungen, vierter Teil

Nach den Berichten des ersten, zweiten und dritten Teils hier die Ereignisse, die zur Aufnahme meines Großvaters in die Wehrmacht führten und seine Erlebnisse dort.

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Kaum zurück in Berislaw kam es im Juni 1942 zu einem Zwischenfall, weil ein preussischer Beamter „zur besonderen Verwendung (ZBV)“ über die Ostmärker schimpfte und mein Großvater und die anderen Österreicher sich über ihn schriftlich beschwerten. Was zu Entsetzen beim Vorgesetzten führte und die Vorgehensweise als „Wehrkraftzersetzung“ eingeschätzt wurde. Die Beschwerde wurde daher umgehend zurück gezogen.

Ob es mit dem Vorhergehenden zusammenhängt bleibt unklar, aber schon am nächsten Tag erschien ein hoher Beamter vom Zoll und mein Großvater erhielt den Befehl, sich beim Heimat-Wehrmeldeamt zu melden. Nachdem das erledigt war fuhr er nach Kattowitz und versah noch kurze Zeit Grenzdienst, bald stellte er sich jedoch dem Einrücken beim Heer.

Ohne Ambitionen zum Heer

In Kattowitz – es war ein Ersatzhaufen wie man es gerne nannte – gab es sprachliches Durcheinander. Die Deutschen 3. U. 4. Grades – genannt die Wasserpolaken – waren in der Überzahl. Der Kp.Kdt. ermahnte einmal, Kameraden, ihr seid ja alle Deutsche, also wendet auch die Sprache an!“

Nach ein paar Tagen Zusammenstellung ging es über Darmstadt nach Ulm an der Donau. Dort harte Ausbildung im Grabenstürmen, Bunker aufsprengen usw. Mein Großvater hörte sich um und erfuhr, dass der Einsatz vermutlich in Nord-West-Russland stattfinden sollte. Er wollte alles, nur nicht nach Osten, drei Winter genügten ihm vollauf. Bei Gelegenheit wollte er diesem Schicksal entgegen wirken. Nach harter, wochenlanger Ausbildung dann die Nachricht, dass im Afrika-Korps Soldaten gebraucht wurden, um die gelichteten Reihen wieder aufzufüllen.

„Klar, dem Tod konnte man auch in Afrika in die Augen schauen, aber die Kälte, der ich immer abhold war, tritt do. nicht so stark in Erscheinung.“

Nach ein paar Tagen ging es weiter nach Landau, dort auch wieder Ausbildung, diesmal an die Verhältnisse in Afrika angepasst. Die nächste Station war Bitsch, wo 30kg Ausrüstung und Bekleidung ausgefasst wurde.

„Das Wunder-MG, Muster 42, wurde uns ausgefolgt. Ich war der „Glückliche“ und bekam auch eines in die Hand gedrückt. Das neue Ding wurde wegen der Einfachheit sehr bewundert und es dauerte höchstens eine Stunde und wir waren instruiert. Dann ging es endgültig einem neuen Ziel entgegen. Afrika.“

Auf dem Weg nach Afrika

In Neapel angekommen wurde schon am nächsten Tag um 3 Uhr morgens Alarm gegeben. Um 8 Uhr lag man schon am Flughafen und wurde nach dem Ausfüllen von Formularen für die Hinterbliebenen um 11 Uhr Vormittags in einer „alten braven Tante JU 52“ verladen. Alle wurden blass, keiner von ihnen hatte je einen Flug mitgemacht.

Der Flug nach Afrika

Nach viel Zittern in Biserta in Tunesien angekommen gruben sie sich samt Zelten ein, die Verpflegung war wegen der Seeblockade mangelhaft. Aufklärungsflugzeuge und auch nahe Bombenangriffe der Allierten fanden statt, richteten bei ihnen aber keinen Schaden an. Am 1. Dezember 1942 galt es einen von den Engländern gehaltenen, langgestreckten Höhenzug nahe dem Ort Dschdeida anzugreifen. Zur Unterstützung rollten Panzer an. Mein Großvater hatte eine Gruppe zu führen.

„Tage zuvor gab es in diesem Abschnitt viele Opfer auf deutscher Seite. Nun, so schien es, sollten wir die nächsten Schlachtopfer sein.“ (…) „. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Wußte doch jeder, daß es nun los geht und die Stunde der Wahrheit schlagen wird. Tage zuvor wurde jeder Versuch, die Stellung zu verlassen, von den Tommys mit heftigem Feuer verhindert.“

Der Angriff

Kurz darauf erhoben sich die Engländer zögerlich und hoben die Hände. Der Feind hatte aufgegeben! 41 Engländer wurden gefangen genommen. „Mir kamen menschliche Gefühle als sie Fotos aus den Taschen zogen und ihre Familien zeigten. Es waren große, etwas 30 jährige Männer aus London, wie sie erklärten. Sie wurden nach rückwärts abgeführt. Ich glaube, sie hatten Angst umgelegt zu werden.“

Nach etwa 2km kamen sie wieder zu einem Höhenzug, der auch von den Engländern gehalten wurde. Das Abwehrfeuer war heftig, sodaß die Truppe auf freiem Feld liegen blieb. Spaten zum Eingraben hatten sie nicht.

Verwundung

Mein Großvater wurde ein Stück zurück gebracht, blieb aber bis 23 Uhr unversorgt liegen. Dann wurde er auf einen LKW verladen und in ein Lazarett in Tunis gebracht. Im Vergleich mit den anderen Verwundeten stellte mein Großvater fest, dass seine Verletzung leichter Natur war, ein so genannter „Heimatschuß“. Bald ging es per Flugzeug weiter nach Trapani in Sizilien, und weiter nach Catania. Später mit dem Lazarettzug über Messina und Rom nach Amberg in Bayern. Eine dreitägige Zugreise, Ankunft am 23.12.1942.

Im Lazarett in Amberg

Die Betreuung und Versorgung dort waren gut, ein Kino war die einzige Ablenkung. Ostern 1943 wurde mein Großvater in das Heimatlazarett St. Pölten verlegt. Nach sechs Monaten Genesung kam er, versehen mit Gehstock und orthopädischen Schuhen, zur Genesungskompanie nach Landau/Pfalz und als nicht kriegsverwendungsfähig bald nach Rüsselsheim zur Bewachung der ausländischen Arbeiter im Opelwerk. Im Herbst 1944 wurde er wieder nach Landau zurück beordert und bedingt kriegsverwendungsfähig geschrieben. Ein dort gestelltes Ansuchen zur erneuten Zuteilung zum Zolldienst wurde von der Heeres-Entlassungsstelle in Darmstadt bearbeitet:

Jeder Mann wurde gebraucht
Wachdienst im Opelwerk Rüsselsheim

Zurück in Landau wurde mein Großvater eine Zeit geduldet, jedoch mit 1.1.1945 erfolgte die Abstellung zur Panzer-Grenadierschule in Potsdam, wo am 2.1.1945 bereits die Ausbildung begann. Aufgrund der Bedrohung durch Luftangriffe fand diese abseits der Kaserne im Freien und in Bunkern statt.

 „Ich mit meinen leichten orthopädischen Schuhen mußte bei Schnee und minus 6 Grad die Exerziererei mitmachen. Ich war, wie schon lange, angefressen. Höhere Gewalt ließ mir am 20.1.45, während der Ausbildung, 39 Grad Fieber zukommen. Ich lag zwei Tage in einem Zimmer der Kaserne, ohne ärztl. Versorgung. Der Hauptfeldwebel nannte mich einen Simulanten. Viel hat nicht gefehlt und ich hätte ihm etwas geantwortet. Aber das damalige Kriegsrecht war hart und unerbittlich.“

Mein Großvater hatte wieder „Glück“, es wurde eine Rippenfellentzündung diagnostiziert und er am 22.1.1945 ins Lazarett eingewiesen. Da die Rote Armee bereits nach Berlin drängte wurde das Lazarett geräumt und er wurde per Bahn nach St. Pölten in das Heimatlazarett geschickt. Nach zwei Wochen Behandlung wurde er allerdings vorzeitig gesund geschrieben und wieder zu seiner Kompanie, die in Schwetzingen bei Heidelberg lag, geschickt.

„Wieder bei einer Kompanie, wurde ich zu einem Zug zugeteilt, der von zwei Hauptleuten geführt wurde. Es waren uns 18jährige, ältere Kameraden, ein Misch-Masch. Die Hauptleute hatten keinen Auftrag zu kämpfen, wir wären eine Nachwuchseinheit, so hörte man. Das ganze Getriebe war so locker, die Auflösung zeichnete sich förmlich ab.“

Als die amerikanischen Truppen nahe Heidelberg kamen trat auch die Truppe meines Großvaters den Rückzug Richtung Bayern an, die Amerikaner immer hinter ihnen. „Es war turbulent, die Auflösung der Wehrmacht des Dritten Reichs war eindeutig sichtbar.“

Das letzte Aufgebot

Die beiden Hauptleute waren verschwunden, junge Leutnants führten nun den kleinen Haufen. Am 15. April 1945 lag die Truppe hoffnungslos und ohne Verpflegung in einem Wald als sie von amerikanischen LKW überrollt wurde. Lautlos liegend blieben sie verborgen. „Am 15. April, im Wald liegend, erklären unsere Leutnants, da wir nun überrollt sind, kann jeder sich „durchschlagen“, wohin sagten sie nicht.“

Nach einigen Tagen Quartier unter Tannen war der „kaum mehr vorhandene Widerstand“ der Truppe gebrochen und sie gingen zum nächstgelegenen Ort namens Ober-Dachstetten. Dort bekamen sie von einer Bäuerin Milch zum Stillen des ärgsten Hungers. Bald darauf kam ein Jeep der Amerikaner und sie wurden im Hof eines Landwirts perlustriert, alle Ausrüstung wurde ihnen abgenommen – mit Ausnahme der Uhren!

Kriegs-Klischees bestätigt

Letztlich wurden alle auf überfüllte LKW verladen und stehend nach Würzburg befördert. Nun beginnt für meinen Großvater die Zeit der Kriegsgefangenschaft, worüber im fünften und letzten Teil berichtet wird.

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Lebenserinnerungen, dritter Teil

Nach dem ersten und zweiten hier nun der dritte Teil der Lebenserinnerungen der berichtet, wie mein Großvater immer weiter in die Kriegswirren hineingezogen wurde.

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Am 1. September 1939 startete der Angriff auf Polen, der Zweite Weltkrieg begann. Um die neuen Grenzen in Polen zu sichern brauchte man einen Zoll-Grenzschutz. Am 18. September 1939 wurde mein Großvater nach Polen versetzt, vorher konnte er noch seine geliebte NSU-Maschine bei einer Tante einstellen.

Zu bewachen war die Grenze in Bachorczec, 30km südlich von Przemysl. Polen war zu diesem Zeitpunkt geteilt, die „Interessensgrenze“ zwischen Deutschland und Russland bildete der Fluß San. „In trauriger Erinnerung blieb mir der Hl. Abend 1939, der Tag an dem wir am San Quartier bezogen. Auf Stroh gebettet, Kerzenbeleuchtung. Zum erstenmal im Leben so einen Hl. Abend zu verbringen ließ mir Tränen in die Augen steigen.“

Grenze und Dienst am San
Die Nonnen, die für das Kochen sorgten

Der Winter 1939 war sehr kalt, Temparaturen bis Minus 32 Grad, der die Kleidung der Beamten kaum gewachsen war. Besonders beeindruckt hat meinen Großvater die Religiösität der Mensche, die Kirchen waren immer voll. Die Frage einer Nonne nach seiner Herkunft brachte große Erleichtung, man könne in Österreich ja auch Kirchen besuchen. „Man hatte den Eindruck, die Besatzung diesseits des San war ihnen lieber als die jenseits des Flusses.“ Bald wurde die Einheit aus dem Notquartier in Räumlichkeiten des im Ort wenig beliebten Herrn Grafen verlegt, wo auch eine Gemeinschaftsküche das Kochen der Nonnen nicht mehr notwendig machte.

Noch im Jahr 1940 wurde die Einheit 4km weiter nördlich nach Dubiecko verlegt.

Die Versorgungslage bessert sich
Die Dienststelle in Dubiecko
Schlachtfest in der guten Unterkunft

In Dubiecko stieß mein Großvater auf einen Zoll-Betriebsassistenten namens Sepp Zügner, der als Kriegsfolge mit amputierten Unterarmen später in Graz lebte. „Unser Chef in Dubiecko war – wie könnte es sein – wieder ein 12ender. Magnus Wilken hieß er. Ich durfte Stellv. Sein. Von der Kanzlei hatte er nicht viel Ahnung, von der Schreibmaschine keine. Gab es auf dieser zu schreiben, meinte er immer, Hans, mach du, du kannst es besser.“ Weihnachten 1940 konnte die Einheit eine Baum besorgen und notdürftig schmücken, um an Weihnachten zumindest erinnert zu sein.

„21. Juni 1941. Ein Hauptmann der Wehrmacht erschien bei uns in Dubiecko und eröffnete, daß morgen, den 22. Juni 1941, ab 3 Uhr morgens, der Krieg mit der Sovietunion begänne. Alle Grenzschutzbeamten haben um Mitternacht die bereitgestellten Stellungen am Sam zu beziehen.“ Mit der Ausrüstung als Grenzbeamte waren sie für militärischen Operationen nicht geeignet. Man glaubt auch nicht so recht an den Krieg mit der Sowjetunion, als aber um 3 Uhr morgens die ersten Sturzkampfbomber über die Grenze flogen war jeder Zweifel verflogen.

Die Leute jenseits des San waren freundlich und zugänglich

Das Ziel der deutschen Wehrmacht war die Eroberung der Ukaine bis zum Fluß Don. Ein Grenzschutz war erforderlich, daher wurde die Einheit immer weiter nach Osten gezogen. Im September 1941 wurde in die westrussische Stadt Bar verlegt, wenig später nach Kapitanowka. „Die Verwüstungen dort, die der Krieg angerichtet hatte, waren entsetzlich groß. Man bekam einen Geschmack vom Krieg und seinen Folgen.“

Kriegsfolgen in Polen

Im Spätherbst ging es weiter nach Osten, mein Großvater landete in Cherson am Schwarzen Meer.

Auch hier unendliche Zerstörungen am Hafen. Hier verbrachte ich den Hl. Abend 1941. In meinem Gepäck befand sich ein kl. Volksempfänger. Mit diesem konnte ich eine russ. Sendung aus dem Ural einfangen. Der Sprecher konnte gut Deutsch und was er sagte war nicht ermutigend für uns. Unter anderem erwähnte er, daß im Ural 2 Mill. Mann in Ausbildung stünden was nicht unwahr klang. Tun konnte man gegen solche Sendungen nichts, man ging eben einem ungewissen Schicksal entgegen.“

Lange blieben sie nicht dort, Anfang Jänner 1942 wurde die Einheit auf Panje-Wagen verladen und, von zwei Pferden gezogen, in langer, frostiger Fahrt in die ca. 80km entfernte Stadt Beryslaw am Dnjepr gebracht. Wieder wurde eine Küche installiert, die von zwei volksdeutschen Frauen, Schwaben die die nach Russland eingewandert waren, geführt wurde. Die Fenster mussten aufgrund der Kälte mit Stroh verstopft werden. Der Dienst erstreckte sich auf Warten und Posten stehen am Dnjepr, und das in ungewohnter Kälte.

Berislaw am Dnjepr

Hier kamen sie erstmals mit ebenfalls dort stationierten Wehrmachtseinheiten in Kontakt, und mit den schrecklichen Bildern des Krieges: „Auch einen Galgen mit vier Opfern konnte ich  erstmals in Augenschein nehmen. Der Anblick war frustrierend.“

Zeugen des Krieges
Am Djnepr

Im Frühjahr 1942 wurde mein Großvater mit fünf Kollegen nach Kattowitz beordert um gebrauchte KFZ für die Verwendung durch den Zollgrenzschutz zu holen. Der Weg dorthin betrug 2.000km. Mein Großvater übernahm dort eine Beiwagenmaschine, ein Beutestück aus dem Frankreich-Feldzug. Sie fuhr nicht schneller als 50km/h ohne heiß zu laufen, und damit galt es, die Strecke von 2.000km wieder zurück zu fahren. „Täglich schafften wir 150 bis 200km. Es war eine lange und beschwerliche „Transaktion“. Dazwischen lagen etliche Zwischenfälle wie Steckenbleiben im Schlamm, Defekte und Reparaturen usw. Erst in Djnepropetrowsk am Djnepr konnten sie wieder zu den Kollegen stoßen um dann nach Berislaw weiter zu reisen.

In Djnepropetrowsk

Das war der dritte Teil der Lebenserinnerungen meines Großvaters. Im vierten Teil berichte ich über die Aufnahme in die Wehrmacht und die Verwundung in Nordafrika.

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Lebenserinnerungen, zweiter Teil

Im ersten Teil der Lebenserinnerungen meines Großvaters hatte ich von seinem Aufwachsen, seiner Lehrzeit und dem Wechsel zum Bundesheer berichtet. In diesem Teil geht es um seine Berichte wie sich die Naziherrschaft in Deutschland ausgewirkt hat und sich die Zeit ihren Weg zum Weltkrieg bahnt.

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Hier noch ein zeitlicher Vorgriff zum Schicksal des im ersten Teil erwähnten Lt. Götz:

Weggeschickt und in der Not wieder geholt

Nach zwei Jahren Wartezeit wurde das Ansuchen meines Großvaters auf Übernahme in die Zollwache 1936 positiv beschieden. Es folgte eine Vorladung in die FLD-Wien zur schriftlichen Prüfung und amtsärztlichen Untersuchung, beides hat er erfolgreich absolviert. Per 7. Jänner 1937 begann der Zollwache-Unterrichtskurs in Obernberg/Inn in OÖ und endete am 31.3.1937. Nach erfogreichem Abschluß erhielt er das Anstellungsdekret und der Dienstort wurde zugeteilt. Per 1.4.1937 sollte er in Brand/NÖ, einem Dorf an der tschechischen Grenze nahe Gmünd, Dienst tun.

Zollwache-Kurs 1937
Einöde statt Idyll

Das Dorfleben war überschaubar, sein Chef der Revierinspektor, Zöllner, Lehrer, Postfräulein trafen sich Mittags im Wirtshaus Zeller oder bei Einladungen der „lebenslustigen Chefin des Kaufhauses„. Der Dienstbereich der Zöllner war groß, von Neunagelberg bis Schlag, 4km Anmarschweg zur Grenze und dann 8 Stunden Patrolie im Wald.

Manche sind eben gleicher an Andere

Geschmuggelt wurde damals viel, interessanterweise z.B. im Jahr 1937 1.600kg des Süßstoffes Saccarin, was der tschechischen Zuckerindustrie großen Schaden bereitete. Von der Politik war man zu der Zeit im nödlichen Waldviertel noch weit entfernt, man beschränkte sich auf das Abhören des Rundfunks.

Die nach der Ermordung von Dr. Dollfuß im Jahre 1934 eingesetzte alleinige Regierung der Vaterländischen Front unter Dr. Schuschnigg kam zunehmend unter Druck. Schuschnigg wurde von Hitler auf den Obersalzberg vorgeladen weil er eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs abhalten wollte. Er wurde dort so unter Druck gesetzt, dass er die Heimreise antrat.

Finis Austria

Bald kamen drei deutsche Zollbeamte nach Brand, die zwar nicht am Dienst teilnahmen, aber Symbolfiguren des Dritten Reichs waren. Die Macht des Ortskommandanten schwand, während die Nazis „fest mit dem anderen Geschlecht feierten“.

Das Verhältnis meines Großvaters zum Kommandenten veränderte sich, etwas gefiel ihm nicht an ihm. Vernaderung duch Kommandanten vermutet er, „Kriecher hat es damals schon gegeben“. 1938 erhielt er eine Versetzung per 1.7.1938 nach Neumarkt/Raab im Burgenland.

Die Verabschiedung ist nicht nett

In Neumarkt, am Grenzübergang St. Gotthard, war der Dienst abwechslungsreicher, auch der Kontakt zu den ungarischen Grenzposten war sehr gut. Man traf sich auch in St. Gotthard „auf einen Tokayer„. Auch in Neumarkt waren bereits deutsche Zollbeamte vor Ort. Mein Großvater nannte sie „Zwölfender„, weil sie 12 Jahre bei der Reichswehr gedient hatten. Sie fielen eher dadurch auf, dass sie drei Tage der Woche so besoffen waren das sie nicht mehr stehen konnten. Mit seinen nunmehr 26 Jahren fühlte er sich nicht recht glücklich in Neumarkt.

Die Unterbringung in Neumarkt

Nachdem Hitler das „Sudetenland heim ins Reich geholt hatte“ wurden für Grenzaufgaben Beamte gesucht. Mein Großvater meldete sich sofort, durch die „verschiedenen Geschehnisse in der Welt und im deutschen Raum war die Zeit ja interessant geworden„. Mit Wirkung vom 15. März 1939 wurde er nach Selletitz in den Bezirk Znaim an die Protektoratsgrenze versetzt.

Im kleinen Ort gab es hauptsächlich Landwirte, zöllnerische Aufgaben gab es keine, „außer das Auftreten, dass hier das Groß-Deutsche Reich beginnt„. Er erwarb dort eine schöne NSU Solomaschine von einem Kollegen, der die Anwaltskosten im Zuge eines Ehestreits nicht mehr begleichen konnte.

Letzte Bewegungen vor dem Krieg

Im nächsten dritten Teil erzähle ich vom Weg meines Großvaters ab dem Kriegsbeginn Richtung Osten, wohin auch die Zollbeamten nachgezogen wurden.

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Lebenserinnerungen, erster Teil

Es gibt im Nachlass meiner Großeltern einen Text, der die Lebenserinnerungen meines Großvaters mütterlicherseits erzählt. Er hat ihn 1986 geschrieben, natürlich auf der Schreibmaschine getippt, und mit zahlreichen Fotos versehen. Als Jugendlicher durfte und sollte ich gelegentlich darin blättern um zu sehen, was der Großvater so erlebt hat. Und das ist so einiges, daher möchte ich hier einen kleinen Einblick geben, versehen mit Auszügen aus dem Originaldokument. Man kann sich heute kaum vorstellen, vor welche Herausforderungen die Menschen dieser Zeit gestellt waren und was sie erdulden mussten. Hier der erste Teil, weitere vier folgen.

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Einleitung der Lebenserinnerungen im Original

Geboren 1912 in Wien, Alservorstadt, die ersten fünf Lebensjahre als Pflegekind bei einer fremden Familie in Wolfstein nahe der Wachau, wurde er 1917 wieder von seiner Mutter heim nach Afing bei St. Pölten geholt. Der Vater war schon 1914 zu den Truppen des Ersten Weltkrieges einberufen worden, die Mutter arbeitete auf einem Bauernhof, wo die Familie auch einen kleinen Raum im Bauernhaus bewohnte.

Er besuchte die damals achtjährige Volksschule in Neidling, wo er von sehr strengen Lehrern berichtet. „Sogenannte „Patzen“ mit dem Rohrstaberl über die offene Handfläche, sowie das „Gleiten“ des Rohrstaberls über den Rücken des „Täters“ sind mir noch in guter Erinnerung. In der heutigen Zeit unvorstellbar.“ Aber auch die Eltern bedienten sich laut dem Bericht gelegentlich dieser Methoden.

1925 schaffte er die Aufnahmeprüfung auf die Bürgerschule in St. Pölten, die damals als „Hochschule des kleinen Mannes“ galt und nicht auf ein Studium vorbereitete, sondern als mittlerer Bildungsweg die Bedüfnisse von Gewerbe und Landwirtschaft bedienen sollte. Das war damals eine doch höherklassige Bildung, auf die mein Großvater mit zusätzlichen Unterrichtsstunden vorbereitet wurde. Auch das nicht ohne Schwierigkeiten.

Erinnerungen an die Nachhilfestunden

Die Bürgerschule war 7km vom Wohnort entfernt, die tagtäglich und bei jedem Wetter zu Fuß hin und retour zurückgelegt werden mussten. Auch hatten er als Bub vom Land einen schweren Stand bei den städtischen Mitschülern, was sich insgesamt leider auch auf den schulischen Erfolg niederschlug. Nach drei in harter Arbeit absolvierten Klassen endete die Bürgerschule 1927 im Alter von 15 Jahren.

Die Familie zieht um nach St. Pölten, Rathausplatz, in eine bescheidene Hausbesorgerwohnung, aber erstmals mit einem gemauerten WC, was die Familie bisher noch nie hatte! Die schwierige Suche nach eine Lehrstelle endete bei einem Tischler im 8km entfernten Flinsbach, wo mein junger Großvater das Tischlerhandwerk erlernte und 1930 erfolgreich die Gesellenprüfung ablegte. Das Leben als Lehrling hatte zu der Zeit wenig zu bieten, lediglich das Theater in St. Pölten besuchte er regelmäßig und gerne, konnte er sich doch mit der Frau des Wohnungsvermieters über die Stücke unterhalten.

Alltag in der Lehrzeit
Erinnerungsfotos aus der Zeit 1931-33

Nicht zuletzt auch wegen der Staubbelastung des Tischlerberufes versuchte mein Großvater beim Militär unter zu kommen, da es aber sehr viele Bewerber gab musste er sich von 1931 bis 1933 mehrfach der Musterung anbieten. Durch einen so genannten „Sponsor“ klappte es dann doch, er wurde am 20. März 1933 mit 400 anderen Rekruten in die Kaserne in Krems zur 1. MG-Kompanie einberufen. Er hatte sich für sechs Jahre verpflichtet.

Großer Andrang bei der Stellung

1933 begannen mit der Machtübernahme Hitlers in Deutschland schwierige Zeiten auch in Österreich. Sympathisanten der Nazis tauchten auch in der Kaserne auf, diese wurden aber bald entlassen. Aufmärsche, Bombenattentate, Einsätze zur Aufrechterhaltung der Ordnung, ständige Alarmbereitschaft und tagelang kein Ausgang. Die bürgerkriegsähnlichen Ereignisse in Wien wurden von der Ferne aus beobachtet, auch das Einheiten der Artillerie Gemeindebauten unter Beschuß nehmen mussten.

Die Stimmung ändert sich

Ostern 1933 wurde er nach nach St. Pölten in die Hesser-Kaserne versetzt. Zu den schönen Erinnerungen dieser Zeit zählen die Übungen im Voralpenbereich und auch im Hochgebirge wie u.a. am Ötscher, Dachstein und der Bischofsmütze. Ein gewisser Lt. Götz veranstaltete für eine Auswahl von Soldaten diese Touren für einen Kostenbeitrag von 40 Schilling. Und das bei einem Monatssold von 30 Schilling. Wie mein Großvater an anderer Stelle ausführte „wenn man Sparen gelernt hatte, kam man über die Runden.“ 1935 meldete er sich wieder in die Kaserne nach Krems zum so genannten Messzug, bei dem Messverfahren für den Stellungskrieg geübt wurden. Wie mein Großvater ausführt „in der heutigen Zeit unanwendbar„. Zu dieser Zeit schrieb er ein Ansuchen zur Aufnahme in die Zollwache, hier wurde Personal gesucht.

Große Touren wurden unternommen
Bundesheer in Krems 1933-37
Hochgebirgs-Alpin-Kurs 1934 am Dachstein

Das war nun einmal der erste Teil meines Berichtes über die Lebenserinnerungen meines Großvaters. Über sein weiteres Fortkommen in der Zollwache sowie die sich anbahnenden Kriegszeiten und deren Auswirkungen auf ihn berichte ich im nächsten Teil.

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Spuren des Krieges in Wien

Auch so lange Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stößt man in Wien immer noch auf so manche Spuren oder Relikte des Krieges. Oft sind es zeitgeschichtlich und technisch interessante Dinge, die einem zusätzlich noch ein Gefühl dafür vermitteln, wie der Alltag im Krieg für die Menschen ausgesehen hat.

Einiges davon kann man bei Spaziergängen durch die Stadt mit aufmerksamem Auge finden, ich habe im Folgenden eine kleine Auswahl meiner Funde zusammen gestellt.

Flakturm (Leitturm) im Arenbergpark im 3. Bezirk

Es standen immer zwei Flaktürme an einem Standort, ein Leitturm mit Radar-, Beobachtungs- und Messeinrichtungen sowie ein Gefechtsturm mit den Geschützen. Im Arenbergpark stehen noch beide, wohl die am wenigsten bekannten in Wien (obwohl der Gefechtsturm der größte in Wien ist).

Interessantes Detail: Aufschrift „Nur für Wehrmacht“ (ehem. Krankenrevier)

Viel bekannter und weithin sichtbarer sind die Flaktürme im Augarten, hier noch zwei Ansichten:

Leitturm Augarten
Gefechtsturm Augarten

Viel kleiner und unauffälliger zeigen sich die Spuren des Luftschutzes der zivilen Bevölkerung. Viele Keller waren ja als Luftschutzkeller ausgebaut und hatten daher auch Verbindungen zu nebenliegenden Kellern sowie Notausstiege, um bei teilweiser Verschüttung entkommen zu können. Diese Öffnungen finden sich auch noch heute:

Notausstieg der Firma Mauser im Bereich der Kirche in der Brückengasse im 6. Bezirk
Lüftungsöffnung oder Notausstieg der Firma Mannesmann Luftschutz

Nicht zuletzt wurden Materialien nach dem Krieg in Zeiten des Mangels zweckentfremdet, hier eine Luftschutz-Tür, eingebaut in die Einfriedung eines Firmengeländes im 11. Bezirk:

Luftschutztür der Firma M. & R. Siroky Stahlbau

Mehr Informationen zu diesem oder ähnlichen Themen finden sich u.a. in den interessanten Büchern von Marcello La Speranza, Johannes Bouchal und Johannes Sachslehner.

Literatur:
Begegnungen. NS- und Kriegsspuren in Wien. Marcello La Speranza, Edition Mokka, 2015
Stumme Zeugen. Auf den Spuren des Krieges in Wien und Umgebung. Bouchal, La Speranza, Pichler Verlag, 2013
Streng Geheim. Lost Places rund um Wien. Bouchal, Sachslehner, Styria Verlag, 2018
Lost Places im Wien und Umgebung. Bouchal, Sachslehner, Styria Verlag 2021
Unterirdisches Wien. Bernd Anwander, Falter Verlag, 1993